Neue Zürcher Zeitung, 04.11.2005, Nr. 258, S. 46 Feuilleton, Jandl P.

Der Keller als Kultort - Eine Wiener Schau zur zeitgenössischen Weinarchitektur

Nicht immer kommen Kulturrevolutionen leise daher. Als man die österreichischen Winzer Mitte der achtziger Jahre dabei ertappte, wie sie unter Aufbietung von Frostschutzmittel ihre Weine veredelten, war es mit dem fröhlichen Grossheurigen Österreich erst einmal vorbei. Vor zwanzig Jahren ist die heimische Weinwirtschaft notgedrungen in sich gegangen. Kommt sie jetzt gross heraus? Auf internationalem Niveau können österreichische Weine heute wieder mithalten. Zum neuen Marketing gehört auch das umfassende Design. Das ist ein Phänomen, um das man mittlerweile nicht mehr herumkommt. Auch das Architekturzentrum Wien nicht, das seine gegenwärtige Ausstellung zum Thema "Weinarchitektur" untertitelt: "Vom Keller zum Kult"

Seit der Wein, dessen bauliche Repräsentationsformen lange Zeit in den klassischen Châteaux des Bordelais erschöpft waren, weltweit dem Zugriff des Designs ausgesetzt ist, will man es auch in Langenlois wissen. Dort wurde Steven Holl engagiert, dessen "Loisium" jetzt das Kamptal überragt. Mit einem vielfach verdrehten Aluminiumwürfel und angeschlossener Weinerlebniswelt nähert sich Holl metaphernreich der Welt des Weins. Das durchbrochene Metall der Fassade soll die weit verzweigten Kellersysteme des niederösterreichischen Weinviertels versinnbildlichen. Nur sich selbst repräsentiert dagegen das burgenländische Weingut Hillinger. Der Lifestyle-Winzer hat von Gerner & Gerner einen Monumentalbungalow an den Rand der pannonischen Tiefebene stellen lassen. Eine breite Glasfront gibt den Blick frei auf die endlose Landschaft.

Mit bedrängterer Tallage hatte das südsteirische Weingut Erwin Sabathi zurechtzukommen. Den trotzigen Quadern, die vom Grazer Igor Skacel entworfen wurden, hilft auch die Holzverkleidung wenig. Gemeinsam mit dem vorgelagerten Grossparkplatz wirkt diese Weinarchitektur eher wie eine progressive Autobahnraststätte.

Zugriff des Designs

Dass der Kult mit der Kultiviertheit nicht unbedingt verschwistert ist, zeigt die Wiener Schau mit eindrücklichen Beispielen. Die Tatsache allein, dass in Österreichs kleinem, sichelförmig im Osten des Landes ausgebreitetem Weinbaugebiet mehr als sechzig Beispiele neuer Architektur zu finden sind, berechtigt noch nicht zur Euphorie.

Dennoch gibt sich das Architekturzentrum themengemäss berauscht. Was schade ist. Man hätte nicht jeden Sichtbetonstadel zum Ereignis hochjubeln müssen, würde sich kritiklose Ausstellungs- und Katalogtexte ersparen und könnte dabei auch noch pädagogisch sein.

Denn dass das Bauen in pittoresken Landschaften auch ein Risiko birgt, haben viele Winzer negiert. Im vitikulturellen Aufmerksamkeitswettbewerb braucht es mittlerweile das Spektakel. Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger haben 2002 im burgenländischen Horitschon einen imposanten Reifekeller aufgestellt, dessen Steinummantelung wohl nicht zufällig an die Ende der neunziger Jahre entstandene Dominus Winery von Herzog & de Meuron im kalifornischen Yountville erinnert.

Doch es geht auch anders. Betont sakral hat Martin Promintzer für den Frauenkirchner Winzer Josef Umathum gebaut. Weit über dem Niveau protziger Selbstdarstellung steht auch das südsteirische Weingut Lackner-Tinnacher. Das neue Presshaus, das vom Grazer Architekten Rolf Rauner geplant wurde, fügt sich selbstbewusst und organisch in die Landschaft. Mit Lärchenholzlamellen verkleidet, dominiert der flache Zweckbau nicht über die Umgebung. Er ist bedingungslos modern und nimmt doch das rurale Element ironisch auf. Das Weingut Manincor in Kaltern, das als italienisches Beispiel in der Ausstellung präsentiert wird, hat sich der Dezenz noch offensiver verschrieben. Fast zur Gänze in einen mit Reben bewachsenen Hügel eingelassen, ist die von den Südtiroler Architekten Walter Angonese, Silvia Boday und Rainer Köberl geplante und 2004 vollendete Kellerei auf kühle Weise spektakulär. Neben den in rostigem Stahl gehaltenen Eingängen und dem vitrinenartigen Verkostungsraum, die den Bau nach aussen öffnen, sind es auch die inneren Werte dieser strengen Architektur, die überzeugen.

Formale Exzentrik

Dass weniger mehr sein kann, muss mancher österreichische Winzer im Umgang mit baulicher Inszenierung erst lernen. Bizarr gefaltete Schachteln und goldene Metallhauben thronen auf südsteirischen Hügeln. Die Verkostungsräume der burgenländischen Weingüter können es mittlerweile mit den coolen Szenelokalen mitteleuropäischer Metropolen aufnehmen. Wo früher ein Presshaus und barocke Kellergassen genügt haben, um das lokale Publikum mit herben Tropfen bei Laune zu halten, steht heute Verarbeitungsgerät, das nach den Umwälzungen der Kellereitechnik selbst prominenter Teil der inszenierten Weinkultur ist. Doppelwandige Edelstahltanks mit blank polierten Rohren und edle Barriquefässer, die schon projektiver Teil des Genusses sind, künden von einem prinzipiellen Wandel im österreichischen Selbstverständnis. Dieser spiegelt sich auch im Katalog wider, welcher als eine Mischung von Weinführer und Architekturpublikation daherkommt. Er macht deutlich, dass die Zeiten, als man die Trinkdistanz bis zur milden Berauschung mit bequemen und anspruchslosen Doppelliterflaschen zurückgelegt hat, endgültig vorbei sind. (...)